Strohhutdichte mit Dichterlingen: Das Literaturfest Meißen war ein großer Erfolg
Von Karin Großmann 17.06.2025, Sächsische Zeitung
Liegestuhl, Holzstuhl, Klappstuhl und das nicht tot zu kriegende weiße Stapeldings, Biergartenbank, Brunnenrand, Treppenstufe – beim Literaturfest Meißen blieb oft nicht mal der berühmte letzte Platz frei. Drei Tage lang füllten Bücherfreundinnen und -freunde die Stadt. Was für ein Fest fürs Lesen! Wenn das nicht Hoffnung macht, angesichts sinkender Buchkauflust.
Dass abends die Stühle vom Markt verschwanden, gehört dazu. Sie wurden zum Ratssaal gebracht. Die hauptberufliche Hoffnungsträgerin Margot Käßmann zog noch viel mehr Publikum an als gedacht. Sie buchstabierte sich durch die Farbenlehre und erzählte biblische Geschichten zu Rot, Grün, Orange. „Ohne Hoffnung wäre die Welt ein trostloser Ort!“, so die Botschaft der 67-jährigen Theologin.
Mit dieser Weisheit hielten andere Vorleser mit. Bürgermeister Markus Renner warb mit seiner Lesung aus einem Juli-Zeh-Roman für mehr Menschlichkeit. Damit könne man trotz unüberbrückbar scheinender Unterschiede zueinander kommen.
Auszüge aus Thomas Manns
Radioansprachen
Grünen-Politiker Valentin Lippmann warnte mit Auszügen aus Thomas Manns Radioansprachen vorm deutschen Nationalismus. Dieser beschmutze alles, was er anfasse, Vaterland, Freiheit, Europa. Sachbuchautor Ilko-Sascha Kowalczuk appellierte eindringlich, jeder möge sich selbst für mehr Demokratie engagieren. Das sei kein Dienstleistungsangebot des Staates, das man nur abzuholen brauche. Freiheit und Demokratie seien im Land heute so bedroht wie seit 1989 nicht mehr.
Es spricht für die Veranstalter, dass sie viel Gelegenheit zum ernsthaften Nachdenken schaffen. Es spricht für das Publikum, dass es auch und gerade solche Lesungen interessiert verfolgt. Sonnenschirme auf dem Markt und die Linden am Heinrichsplatz spenden Schatten. Bemerkenswerte Strohhutdichte in den Gassen der Altstadt. Manche Gäste nehmen hier und da ein Lesehäppchen zu sich und flanieren weiter. Andere arbeiten sich planvoll mit eigenen Listen von Ort zu Ort. Sammler von Innenhöfen – unbedingt lauschig – leben im Glück. Dafür öffnen Einwohner gern ihre Türen. Sie lesen selbst vor und lassen lesen wie etwa Familie Herrmann am Schlossberg. Das Fest wird nicht nur getragen von Kulturraum, Landkreis und Stadt, sondern vor allem vom privaten Mittun.
Pensionierte Lokalreporterin
der SZ verdächtigt
Im Hof des Porzellancafés sucht eine Dresdner Autorengruppe mit geheimdiensterfahrenen literarischen Figuren nach einer Spionin und verdächtigt eine pensionierte Lokalreporterin der Sächsischen Zeitung. „Wenn Sie wissen wollen, wie es weitergeht, kaufen Sie unser Buch!“ An einem Stand präsentieren zwölf Verlage ihre Novitäten. Im Hof der Anneli-Marie-Stiftung singt ein Kinderchor. Ein Plüschfuchs hat einen Auftritt in der Schule der Magischen Tiere.
Viele Stufen weiter oben laden Künstler in den Jahnaischen Freihof ein. Unter einem prächtigen Blauglockenbaum singt und spricht Tilo Schiemenz eigene Texte, begleitet von Handpuppen und Musikern. Schiemenz, Mehrfachfachmann aus Radebeul, verwickelt sieben Zwerge namens E.T.A. Hoffmann, Schiller, Lenz, Grabbe, Klopstock, Hölderlin und Novalis in Reimereien. Diese missfallen einer Fee: „Ich möchte alle Dichterlinge morden.“
Es kommt zum Glück nicht dazu. Der Krise sollte man „eine fröhliche, trotzige, bunte Hoffnung“ entgegensetzen, rät Margot Käßmann. Das Literaturfest Meißen zeigt, wie das geht.